„Fußball ist unser Leben, denn König Fußball regiert die Welt“? Selbst Nicht-Fans in bestimmten Altersgruppen werden sich an die von der deutschen Nationalelf gesungene Hymne zur Weltmeisterschaft 1974 erinnern. Das von „Kaiser Franz“ Beckenbauer, der seine Fans schon 1966 als Schlagersänger begeistert hatte, Sepp Müller, Günter Netzer und den anderen Starkickern im Tonstudio aufgenommene Lied schrammte nur knapp an einer Goldenen Schallplatte vorbei. Dass die deutsche Elf im eigenen Land den Weltmeistertitel geholt hatte, spielte zwar eine große Rolle bei dem Erfolg des schlicht gestrickten Songs, aber genauso wichtig war die Tatsache, dass „Fußball ist unser Leben“ wie alle guten Fußballgesänge binnen Sekunden ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen hat.
Fans, die zusammen singen, fühlen sich nicht mehr allein. Fremde werden für kurze Zeit, vielleicht aber auch für immer, zu Freunden. Das funktioniert mit den Songs bei den lokalen Vereinen genauso wie mit den Hymnen, die für Weltmeisterschaften geschrieben oder bei Länderspielen gesungen und mitgegröhlt werden. Von Bayern Münchens „Stern des Südens“, das bei Bundesliga-Begegnungen genauso inbrünstig gesungen wird wie bei internationalen Matchs, wo der Rekord-Meister gerade auch bei den Champions-League-Wetten punktet, über „Blau und Weiß, wie lieb‘ ich dich“ beim FC Schalke 04 und „Hamburg, meine Perle“ beim HSV reicht die Palette an heimischen Songs. Allerdings werden manche Lieder auch mehr oder weniger stillschweigend ins Abseits geschickt, wenn sie allzusehr das Fanherz bluten lassen. Das einst mit guter Berechtigung gesungene „Wer wird Deutscher Meister? Ha-Ha-Ha-Ha-Es-Vau“ ist an der Alster schon lange nicht mehr zu hören.
Weil mitreißende Musik genauso international ist wie mitreißender Fußball, haben es etliche Songs als inoffizielle Hymne in die verschiedensten Stadien geschafft. Bestes Beispiel ist „You’ll Never Walk Alone“ von Gerry and the Pacemakers. Die Liverpooler Band hatte 1963 den zu dem Zeitpunkt schon 18 Jahre alten Song aus dem Musical „Carousel“ gecovert und damit zum Chart-Hit gemacht. Unsterblich wurde die Version allerdings erst, als Fans des FC Liverpool das Lied adoptierten und im Stadion sangen.
Andere Fußballfreunde machten es ihnen nach. Inzwischen wird „You’ll Never Walk Alone“ in ungezählten Stadien bei Siegen und Niederlagen, bei frohen und traurigen Gelegenheiten geschmettert. Als ein Zuschauer bei einem Dortmund-Spiel einen tödlichen Herzinfarkt erlitt, wurde es für ihn gesungen, und als der Verein seinen Ex-Trainer Jürgen Klopp und dessen FC Liverpool zum Chanpions-League-Viertelfinale begrüßte, wurde auch für ihn „You’ll Never Walk Alone“ angestimmt.
Fangesänge in traurigen Momenten sind in anderen Ländern allerdings häufiger als in Detschland, wo in erster Linie Tore und Siege musikalisch bejubelt werden. Noch heute bekommen viele Fans eine Gänsehaut, wenn sie an das EM-Spiel zwischen Irland und Spanien 2012 denken. Die Kicker von der grünen Insel lagen kurz vor dem Abpfiff mit 0:4 zurück, als auf der Zuschauertribüne die ersten Iren zu singen begannen. „Low lie the fields of Athenry“ war wohl nur den wenigsten bekannt, aber das melancholische und dabei stolze Volkslied über eine Hungersnot ging allen ans Herz. Der gefühlvolle Gesang bei einer bitteren Niederlage machte die Iren zu den emotionalen Gewinnern und bewies, wie sehr nicht nur Fußball bei aller Rivalität verbindet.
Stolz und Enthusiasmus statt Melancholie hat „Seven Nation Army“ von „The White Stripes“ aus dem Jahr 2003 zu einem der Superhits unter den Fußballliedern gemacht. Seit belgische Fans den Song bei einem Champions-League-Match in Brügge lauthals gesungen hatten, gehört er zu den Dauerbrennern in den verschiedensten Stadien. Bei der Europameisterschaft 2008 wurde „Seven Nation Army“ bei jedem Einlaufen der Mannschaften gespielt und gehörte damit allen gleichermaßen.
Die selbe Melodie, nur mit verschiedenen Texten ist ein weiteres verbindendes Element zwischen Ligen und Ländern. Kaum ein anderer Song hat sich dafür als geeigneter erwiesen als das von „YMCA“ herausgebrachte und von den „Pet Shop Boys“ gecoverte „Go West“. Fans von Schalke 04 schmettern allerdings stattdessen „Steh auf, wenn du ein Schalker bist“, und Anhänger von Borussia Dortmund singen „Ole, hier kommt der BVB“.
Klassisch geht es zumindest gelegentlich beim FC Köln zu. Der Club hat sich von der schottischen Nationalmannschaft die Jahrhunderte alte Ballade „The Bonnie Banks o‘ Loch Lomond“ geliehen und daraus „Mer stonn zo dir, FC Kölle“ gemacht.
Singende Kicker gibt es mit mehr oder weniger Charts-Erfolg seit Beckenbauers Zeiten ebenfalls immer wieder. Zu den Glanzzeiten des HSV begeisterte der britische Kicker Kevin Keegan Ende der 70er Jahre die Fans mit seinen Ballkünsten und musikalisch mit dem Hitparadenerfolg „Head Over Heels“. Gerd Müllers „Dann macht es Bumm“ ist genauso in die deutsche Fußballmusikgeschichte eingegangen wie Toni Polsters „Toni, lass es polstern“. Sogar der portugiesische Superstar Cristiano Ronaldo trat für den Bossa-Nova-Song „Amor Mio“ vors Mikrofon.
Gesänge zum Einmarsch, bei jedem Tor, zur Halbzeit und zum Schluss eines Spiels sind inzwischen schon fast unverzichtbare Bestandteile eines Fußballspiels, ob nun in den unteren Ligen gekickt wird oder es bei hochkarätigen Matchs um Ruhm, Punkte und viel Geld geht. Allerdings kommen auch immer wieder Momente vor, wo statt lauter Takte andächtige Stille herrscht. Die kann ebenfalls verbinden, und wenn es nur ums Atemholen geht, bevor beim gemeinsamen Fangesang aus Fremden für kurze oder mit Glück lange Zeit Freunde werden. König Fußball verbindet die Welt.